
Für die neue Burgtheaterdirektion war im vergangenen Oktober die Nachricht, dass Han Kang der Literaturnobelpreis zuerkannt wird, wie Ostern und Weihnachten an einem Tag. Dass man bereits die deutschsprachige Erstaufführung eines zentralen Romans der Südkoreanerin auf den Spielplan gesetzt hatte, erwies sich somit als Coup.
Christoph Liebentritt
Die Deutsch-Koreanerin Kotti Yun spielt eine Frau, die sich dem Fleischkonsum verweigert. Die entsetzten Eltern: Dunja Sowinetz und Hans Dieter Knebel.
Für die deutsche Regisseurin Marie Schleef (35) war es ein lang gehegter Wunsch, „Die Vegetarierin“ (2007) auf die Bühne zu bringen. Es geht darin um Yong-Hye, die eines Tages beschließt, kein Fleisch mehr zu essen – weil sie „einen Traum“ gehabt habe. Fassungslos sieht ihr Mann (Ernest Allan Hausmann) auf der Bühne des Akademietheaters dabei zu, wie Yong-Hye (traumwandlerisch gut: Kotti Yun) nacheinander verpackte Fleischstücke aus der Küche zerrt, um sie zu entsorgen: eine Schweinehälfte, einen Rehbock und etwas, dass ein Mensch sein könnte. Die Bühne, durch weiße Vorhänge gegliedert, wirkt im ersten Teil wie ein Kühlhaus. Auf dem Boden wabert Trockeneisnebel, überlaut hört man das Geräusch eines Kühlschranks.
Am eindringlichsten ist jedoch die Entscheidung, das gesamte Geschehen in extremer Zeitlupe zu zeigen. Die Leistung des Ensembles, das mit immenser Konzentration und Körperspannung agieren muss, um diesen Effekt glaubhaft zu halten, ist in dieser Hinsicht phänomenal.
Christoph Liebentritt / Christoph LiebentrittEssenz des Romans
Der Einsatz von Sprache (freilich in Normaltempo) wird hingegen stark reduziert – weshalb der Slo-Mo-Effekt kaum gebrochen wird. Schleef konzentriert sich auf die Essenz des Textes. Es wäre albern, zu sagen, diese sei so gering, dass es Superzeitlupe brauche, um daraus ein abendfüllendes Stück zu gestalten. Die Dehnung der Zeit zwingt aber förmlich dazu, darüber zu meditieren, warum diese Frau so handelt. Vor den drei Akten wird eine Leinwand vor die Bühne gezogen: Man sieht schnell geschnittene Videosequenzen und hört innere Monologe aus dem Roman.
Offenbar wird hier auch eine Gesellschaft, die solch Zuwiderhandeln (einer Frau?) nicht dulden kann. Der Vater (Hans Dieter Knebel) schreit sie an, ohrfeigt sie und versucht, ihr gewaltsam Fleisch zu verabreichen. Der Sound steigert sich bei den exzessiven Szenen ins Verstörende.
Der Zerfall der Familie setzt sich in Teil 2 fort, die Szenerie (Bühne: Lina Oanh Nguyên) ist nun ein multimedialer Ausstellungsraum, flirrende Videoinstallationen bilden einen Kontrast zum Zeitlupentempo. Zu sehen ist, wie Yong-Hyes Schwager (Philipp Hauß), ein Künstler, sich an sie heranmacht. Luststeigernd wirkt dabei das Bemalen nackter Körper mit Pflanzenmotiven. Er will sie und einen Assistenten (Jonas Hackmann) beim Sex filmen, doch dies schlägt fehl. Als der Schwager sich selbst als Sexpartner anbietet, verlässt eine Handvoll Zuschauer den Saal. Was sie versäumen, ist der finale dritte Akt, in dem die Bühne in sattes Grün getaucht wird, dahinter werden auf einem großen Bildschirm idyllische Naturbilder eingeblendet.
Christoph Liebentritt / Christoph Liebentritt
Die Szenerie dieser psychiatrischen Klinik wirkt meditativ. Yong-Hye steht Kopf, sie will nun selbst – so surreal will es der Roman – zur Pflanze werden und sich nur noch von Licht ernähren. Unter den Augen der Schwester In-Hye (Alexandra Henkel), die noch zu ihr hält, droht Zwangsernährung – und ein tatsächlich dramatisches …read more
Source:: Kurier.at – Kultur