Jean Ziegler: „Jedes Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet“

Politik
Archivfoto: Der Schweizer Soziologen und Globalisierungskritiker Jean Ziegler in Wien am 25.03.2015.

Kriege, Klimawandel und ein System, in dem Konzerne über die Leistbarkeit von Nahrung entscheiden: Jean Ziegler prangert auch noch mit 90 Jahren die westliche Schuld am Welthunger an.

„Ich war total ineffizient.“ So sieht Jean Ziegler, der am 19. April 90 Jahre alt wird, seine Zeit als Sonderberichterstatter und Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrats. In dieser Zeit sei der globale Hunger, sein ewiger Gegner, nicht gesunken, sondern gestiegen.

Einer der bekanntesten, internationalen Globalisierungskritiker übt Selbstkritik. Viele Aussagen des Schweizer Soziologen sind bekannt, doch bringen sie die Dramatik der Weltlage heute wie damals auf den Punkt. Im Interview mit dem KURIER prangert er die Schuld des Westens am Welthunger an, legt Lösungsmaßnahmen vor und übt scharfe Kritik am Staat Israel, der den Hunger bewusst als Kriegswaffe gegen die palästinensiche Bevölkerung einsetze.

KURIER: Herr Ziegler, ist es möglich, den Hunger auf der Welt zu beenden?

Jean Ziegler: Der Hunger ist keine Fatalität. Er ist menschengemacht. Er könnte von Menschen morgen aus der Welt geschaffen werden. Dem World Food Report der UN zufolge stirbt alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren an Hunger oder den unmittelbaren Folgen. Derselbe Bericht sagt, die Weltlandwirtschaft, wie sie heute ist, könnte problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren, fast das Doppelte der gegenwärtigen Weltbevölkerung, wenn Nahrungsmittelverteilung und Zugang nicht von der finanziellen Kaufkraft des Konsumenten abhängig, sondern ein universelles Menschenrecht wäre. Jedes Kind, das jetzt, während unseres Gesprächs an Hunger stirbt, wird ermordet.

Welche konkreten Maßnahmen bräuchte es denn, um den Hunger zu minimieren?

  Karoline Edtstadler: Warum sie als türkise Kronprinzessin gilt

Zum Beispiel ein Ende der Börsenspekulation auf Grundnahrungsmittel. Das treibt die Weltmarktpreise in die Höhe. Und man müsste sofort die Auslandsschulden der ärmsten Länder der Welt streichen. 37 der 54 Staaten in Afrika sind reine Agrarstaaten. Ihre Produktivität von Getreide ist sehr gering. In einem normalen Jahr – ohne Krieg, ohne Dürre – gibt ein Hektar Land in der Sahelzone bis zu 700 Kilogramm Getreide. Bei uns sind es auf derselben Fläche 10.000 Kilo. Nicht weil der afrikanische Bauer weniger kompetent oder arbeitsam ist, sondern weil der europäische Bauer über Bewässerung, Dünger und Markterschließung verfügt. Während der afrikanische Bauer in einem verschuldeten Staat lebt, der keine Subventionen finanzieren kann. 

Auch das Agrar-Dumping der europäischen Staaten am Weltmarkt müsste sofort gestoppt werden:  Die europäischen Staaten sind überproduktiv, wir haben eine stark subventionierte Agrarpolitik. Damit die Preise auf dem europäischen Markt aber gehalten werden können, werden Überschüsse zu Billigpreisen auf dem afrikanischen Markt angeboten. Dort unterbieten sie lokale Produkte und sorgen dafür, dass der afrikanische Bauer seine Ware nicht anbringt. Wir Europäer bringen den afrikanischen Bauer damit um seinen existenzsichernden Lohn.

Inwiefern bedrohen durch den Klimawandel bedingte Extremwetterereignisse den Kampf gegen den Welthunger?

Ein Drittel des Agrarbodens des afrikanischen Kontinentes ist Trockenboden, dort fallen 250 Millimeter Regen pro Quadratmeter im Jahr. Landwirtschaft ist ohne künstliche Bewässerung nicht möglich. Aber nur 3,5 Prozent des Agrarbodens südlich der Sahara werden aktuell künstlich bewässert. Der Rest ist Regenlandwirtschaft wie vor 3.000 Jahren. Der Klimawandel ist eine unglaubliche Bedrohung für den Kampf gegen den Welthunger. 

Welche Rolle spielt die UNO in …read more

Source:: Kurier.at – Politik

      

(Visited 1 times, 1 visits today)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.