Die ehemalige Synagoge St. Pölten: Ein Sakralraum erzählt Geschichte

Kultur

Seinerzeit zum Abbruch freigegeben, ist sie heute ein architektonisches Schmuckstück – und ab 19. April wieder eröffnet als Zentrum für Kulturveranstaltungen.

„Öffnet mir die Tore der Gerechtigkeit, ich will eintreten und Gott danken.“ Dieser Psalmtext 118, Vers 19, steht in hebräischer Schrift auf der Fassade eines Jugendstil- Denkmals, das – saniert und adaptiert – jetzt wieder öffentlich zugänglich ist.

Christian Michelides/CC BY-SA 4.0

Zur Vorgeschichte dieses prachtvollen Bauwerks: Die israelitische Kultusgemeinde von St. Pölten hatte zum 60-jährigen Thronjubiläum von Kaiser Franz Joseph I. beschlossen, eine neue Synagoge zu errichten. An der Promenade am Ring, der die Altstadt umgibt, wurde sie im August 1913 zum 83. Geburtstag des Monarchen eingeweiht.

Nach dem Novemberpogrom 1938 hat die Stadt das von den Nazis innen weitgehend zerstörte und geplünderte ehemalige Gotteshaus „arisiert“, als Möbellager und Unterkunft für Zwangsarbeiter aus Osteuropa verwendet.

Ab den 50er-Jahren, restituiert an die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG), war das Haus lange unbewohnt, unbeheizt, unbenutzt und sogar vom Abriss bedroht, bis es 1980 auf durch Bund, Land, Stadt und IKG zu einer Rettungsaktion kam.

Beeindruckend im Innenraum sind die Kuppel, die Frauenempore, der Toraschrein und vor allem die farbenprächtigen Ornamente.

Synagoge St. Pölten/gemeinfrei

„Die Wandmalereien wurden restauriert und rekonstruiert“, sagt der Historiker Christoph Lind. „Aber die rituellen Baubestandteile und einst bunten Fenster waren unwiederbringlich zerstört.“

Kein Ritualgegenstand – Torarollen, Kerzenleuchter, Textilien – hat die NS- und Nachkriegszeit überlebt.

„Niemals vergessen“

Im November 2023 ist der Arzt Hans Morgenstern, der letzte Holocaust-Überlebende und Zeitzeuge St. Pöltens, mit 85 Jahren verstorben. „Er war das Gedächtnis der Stadt“, eine „für unsere Forschungsarbeit unerschöpflich wertvolle Quelle“, so die Leiterin des seit 1988 im Kantorhaus angesiedelten Instituts für jüdische Geschichte Österreich (INJOEST) Martha Keil: „Seine kluge, kritische und humorvolle Präsenz hat mehr zum Gedenken an die vernichtete jüdische Gemeinde beigetragen als alle Beteuerungen des ,Niemals vergessen.“

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NÖ Museum BetriebsgmbH/Florian Müller

Morgenstern hatte ein halbes Jahrhundert lang Tausende Biografien jüdischer Menschen zusammengetragen: Sein enzyklopädisches Nachschlagewerk „Jüdisches biografisches Lexikon“ (2011) versammelt rund 6.400 Kurzbiografien bedeutender Persönlichkeiten jüdischer Herkunft aus allen Gebieten der Wissenschaft, Kunst, Politik, Religion und Wirtschaft seit 1800.

Auch die Großmütter und vier Großtanten Morgensterns waren im Holocaust ermordet worden. Ihnen und den anderen mehr als 500 Opfern der völlig ausgelöschten Kultusgemeinde St. Pölten waren sein Interesse und Wirken gewidmet.

Synagoge St. Pölten/gemeinfrei

Aus dem Sakralbau wurde ein modernes Zentrum für Ausstellungen, Kulturveranstaltungen und Geschichtsvermittlung, „kein Museum“, so Martha Keil.

„Wir lassen vielmehr den Raum selbst erzählen. Geschichte – Gedenken – Gegenwart, diese drei Aspekte sind die Leitmotive sein, um die Gründung, Blüte und Vernichtung der jüdischen Gemeinde in St. Pölten zu vermitteln. Der Ort setzt sich mit jüdischer Kultur und unserer gemeinsamen Geschichte auseinander.“

Herzstück des Veranstaltungsprogramms im Kultur- und Ausstellungszentrum sind zwei von Johann Kneihs gestaltete Jewish Weekends (7. – 9. 6. und 14. – 16. 6.) mit Erstaufführungen internationaler Ensembles und exklusiven Programmen heimischer Künstler, jüdischer Renaissance- und Barockmusik über Klassik bis Singer-Songwritern, Jazz und Avantgarde.

19. bis 21. April: 3 Tage der offenen Tür bei freiem Eintritt (und bis Ende Oktober Di–Fr 10–17; Sa, So, Fei 10–18 Uhr www.ehemalige-synagoge.at

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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