Gewerkschafter Binder: „Wir vertreten den Mittelstand“

Politik

Der Chef der Produktionsgewerkschaft appelliert an die Industriellenvereinigung, ihren „Totgesang auf den Wirtschaftsstandort“ bleiben zu lassen.

Seit er das Angebot von Einmalzahlungen bei Kollektivvertragsverhandlungen mit dem Satz „Damit können S‘ sch… gehen“ quittiert hat, ist Reinhold Binder als Gewerkschafter einer breiteren Öffentlichkeit ein Begriff. 

Im KURIER-Interview spricht der Chef der Produktionsgewerkschaft PRO-GE, über die hohe Gewerkschafter-Quote im SPÖ-Parlamentsklub, die „rückwärtsgewandte Forderung“ nach mehr Arbeit – und warum die Gewerkschaft die Krankenkasse wieder umbauen würde. 

KURIER: Herr Binder, erlebt die SPÖ kein Wahldebakel, werden Sie neben Beppo Muchitsch und Barbara Teiber als dritter Spitzengewerkschafter im Herbst ins Parlament einziehen. Übernimmt die Gewerkschaft demnächst den roten Parlamentsklub? 

Binder: Schauen wir uns den Nationalrat an: Da gibt’s Unternehmer, Beamte, Anwälte und andere Berufsgruppen, die alle sehr gut vertreten sind. Wir Gewerkschafter sind die Stimme der Arbeitnehmer, wenn Sie so wollen: Wir vertreten den Mittelstand – und das ist gut so.

Dass Sie sich für Arbeitnehmer-Anliegen stark machen wollen, ist klar. Was liegt ihnen abgesehen davon politisch am Herzen?

Der Kampf gegen die Inflation zum Beispiel. Es wird am Familientisch darüber gesprochen, wie der Wocheneinkauf aussieht, was man weglässt. Wir haben bei Grundnahrungsmitteln Preissteigerungen von bis zu 44 Prozent, die Menschen können sich die Mieten nicht mehr leisten und die Kaufkraft ist trotz guter Lohnabschlüsse noch nicht dort, wo sie sein sollte. All das muss angegangen werden – wie im Übrigen auch die Frage des Industriestandortes.

Was meinen Sie?

Ein guter Anfang wäre, den ständigen Tot- und Abgesang auf den Wirtschaftsstandort bleiben zu lassen. Was Vertreter der Industrie hier tun, löst bei den Menschen Angst um den Arbeitsplatz aus. Es führt dazu, dass sie kein Geld ausgeben, weil sie Angst vor der Zukunft haben. Angst ist ein schlechter Ratgeber.

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Aber ist es völlig falsch, dass Europa im globalen Wettbewerb langsam das Nachsehen hat? 

Wenn sie auf das „Mehr arbeiten“ abzielen, dann ist dazu zu sagen: Das ist eine rückwärtsgewandte Forderung. Worum geht es wirklich? Es geht darum, Potenziale zu heben, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Perspektive zu geben. Wie sieht die Arbeit der Zukunft aus? Ein Element ist die Qualifizierung. Nur wenn wir Arbeitskräfte besser ausbilden, werden wir künftig die nötigen Fachkräfte haben. In der Elektro-Industrie und im Metallbereich geschieht das, da gibt’s einen Schulterschluss zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern – und wir schaffen Tausende zusätzliche Fachkräfte. 

Bleiben wir kurz bei der Arbeitszeit. 41 Stunden Wochenarbeit ist für Sie der falsche Weg? 

Die Stunden-Debatte ist falsch und oberflächlich, es geht darum, gesunde Arbeit zu ermöglichen. Denn die Menschen sollen möglichst lange einer guten Arbeit nachgehen können. Man kann die Dinge ja auch nur bedingt miteinander vergleichen. Das eine ist ein Bürojob. Ich hingegen kenne die Situation in Produktionsbetrieben, die haben oft Schichtarbeit mit einer belastenden Tätigkeit. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. In diesen Betrieben und Branchen haben wir jetzt schon Kollektivverträge, die kürzere wöchentliche Arbeitszeiten vorsehen. In der Papierindustrie etwa gibt es 36-Wochenstunden. Das funktioniert. Warum? Weil die Sozialpartnerschaft da funktioniert. 

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Source:: Kurier.at – Politik

      

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