Wiener Festwochen: Wer ist Omri Boehm?

Kultur

Der israelisch-deutsche Philosoph setzt sich für „radikalen Universalismus“ ein. Daraus folgert er, dass Israelis und Palästinenser in einer gemeinsamen Föderation leben sollen.

Mit seiner „Rede an Europa“ zur Einleitung der Wiener Festwochen sorgte der israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm in den letzten Tagen für viel Aufregung, noch bevor er sie gehalten hat. Am Dienstagabend nun will er am Judenplatz in Wien  über eine  „historische Spannung“ sprechen, die sich durch Europa ziehe: Dass nämlich einerseits Länder wie Frankreich den Konflikt im Nahen Osten aus der Perspektive der eigenen Kolonialgeschichte sehen, Deutschland und Österreich aber aus der Geschichte des Holocaust. Diese Spannung „droht die Europäische Union zu zerreißen“: Das „Spannungsverhältnis zwischen zwei historisch gewachsenen Positionen wird im Zuge der jüngsten Ereignisse im Nahen Osten zunehmend explosiv“.

Was er damit meint, ergibt sich aus seinem philosophischen Schaffen.

Boehm, Jahrgang 1979, nämlich hat zuletzt „Radikalen Universalismus“ in einem gleichnamigen Buch („Radikaler Universalismus jenseits von Identität“) beschrieben. Damit bezieht er sich auf die Werte der Aufklärung  – auch in der Interpretation des Nah-Ost-Konflikts. Das führt ihn dazu, eine „Republik Haifa“ (im Buch“ Israel – eine Utopie“) zu ersinnen. Nach Vorbild der multikulturellen Hafenstadt sollen die Israelis und die Palästinenser dort in einer gemeinsamen Föderation leben, gleichberechtigt und mit dem Recht, in allen Gebieten dieser Föderation Grund zu erwerben und zu leben.

Das ist angesichts der derzeitigen Gemengelage in Israel, dem Westjordanland und Gaza natürlich eine Utopie. Eine Utopie, die innerjüdisch sehr verschiedenen aufgenommen wird: Boehm bekommt viel Zustimmung von linken Juden – und scharfe Kritik von anderen. Die Rezeption von Literaturnobelpreisträger Daniel Kehlmann im Ö1-Mittagsjournal vom Montag ist hier schlicht nicht zutreffend: „Praktisch niemand konnte sich bisher über Omri Boehm erregen“, sagt Kehlmann da.

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Dabei wurde Boehm in der Jüdischen Allgemeinen – einem der deutschen Israelitischen Kultusgemeinde nahestehende Publikation – vorgeworfen, dass er sich „ohnehin schon längst in die Herzen der postkolonialen juste milieus und BDS-Fans eingeschrieben“ habe. Dies nicht zuletzt damit, dass er im Zusammenhang mit Israel von „Apartheid“ spricht und den Holocaust und die Vertreibung der Palästinenser aus dem heutigen Israel zwar nicht gleichsetzt, aber zusammen nennt. Israel gilt vielen Juden als sicherer Staat, den es unter keinen Umständen aufzugeben gilt; Boehm fordert dies indirekt.

Auch seine Teilnahme an der umstrittenen Konferenz „Hijacking Memory“ 2022 in Berlin wurde kritisiert. In seinem „Universalismus“-Buch schreibt er, bei der Konferenz wollten „wir“  die „systematische Umwandlung des Holocaust-Gedenkens in eine Waffe zur anhaltenden Verfolgung der Palästinenser“ problematisieren.

Boehm studierte in Tel Aviv und an der Yale University. Derzeit ist er assoziierter Professor an der New School for Social Research in New York. In seiner philosophischen Arbeit hat sich Boehm unter anderem mit der Bindung Isaaks auseinandergesetzt. In der entsprechenden Bibelstelle befiehlt Gott Abraham, seinen Sohn zu opfern. Boehm sieht hier bei Abraham höhere Verpflichtungen als den Glauben und in seinem Zögern einen Akt des Widerstands, und begründet dies mit dem deutschen Philosophen der Aufklärung, Immanuel Kant.

Boehm schreibt regelmäßig für Medien wie New York Times, Washington Post, Haaretz und Die Zeit. Zuletzt erhielt er bei der Buchmesse in Leipzig den Buchpreis für Europäische Verständigung „für die …read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

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