Plötzlich schuldenfrei: Eine Stadt holt arme Familien aus der Geldnot

Politik

Das niederländische Arnheim bezahlt die Schulden von 50 Familien – bedingungslos. Das Experiment macht Schule: Eine Milliardärsfamilie in Rotterdam zieht nach.

Unter der Postleitzahl 6832 bis 6834 sind einige der ärmsten Bewohner der Niederlande zu finden – in Immerloo, einem Stadtteil von Arnheim. Graue Plattenbauten aus den 60er-Jahren reihen sich hier aneinander. In den Wohnsilos der sonst so schmucken 150.000-Einwohner-Stadt leben 40 Prozent der Bewohner unter der Armutsgrenze: Zu wenig Geld für ausreichend Essen bis zum Monatsende, für Krankenversicherung, für Heizung, für Bildung. Alle werden sie von Schulden erdrückt, die ein Entkommen aus dieser verzweifelten Situation aussichtslos erscheinen lassen.

Die Gemeinde Arnheim wagt sich deshalb an ein radikal neues Experiment: Ende April zogen Stadtbedienstete nach Immerloo, in die ärmsten Ecken der Stadt, klopften an unzählige Türen und informierten die überraschten Familien von ihrem Vorhaben: 

Die Stadt wolle rund 50 Familien die Schulden abnehmen – bis auf den letzten Cent und ohne irgendeine Gegenleistung. Wenn die Familien dies wünschen, erhalten sie in den folgenden Wochen und Monaten auch eine Begleitung, wie sie künftig vermeiden können, wieder in eine Schuldenfalle zu tappen. Familien mit Kindern haben dabei Vorrang.

„Schulden haben eine verheerende Wirkung auf Menschen, sie führen nur zu noch mehr Schulden und verstärken auch andere Probleme“, heißt es in einer Erklärung des Bürgermeisters. Also sei es „Zeit für eine radikale Lösung“. Und die lautet: An die 700.000 Euro stehen in einem Topf zur Verfügung, gefüllt haben ihn die Stadt, Wohlfahrtsorganisationen, eine Immobiliengesellschaft und eine Versicherung. Zudem haben einige Kreditgeber angekündigt, Schulden zu streichen. Im Schnitt werden 18.000 Euro aufgebracht, um die Familien aus ihrer Geldnot zu befreien.

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Spannungen in der Familie

Rund 726.000 Haushalte in den reichen Niederlanden kämpfen laut Statistikamt CBS mit „problematischen Schulden“: Aber ohne ihre Last, so lautet die Überlegung der Gemeinde Arnheim, lassen sich alle anderen Problem leichter angehen: Von Spannungen in der Familie, Gewalt, über Arbeitslosigkeit bis hin zu Alkohol- oder Drogensucht.

Die Rechnung der Stadtführung von Arnheim: In den Niederlanden betrage die Schuldenlast der Familien rund 3,5 Milliarden Euro. Doch um die Folgewirkungen dieser Schuldenlast zu bekämpfen, müssten jährlich 17 Milliarden Euro aufgewendet werden.

Die Universität der Stadt wird das Experiment wissenschaftlich begleiten, doch Kritik kam schon vor dem Start: Das ersatzlose Streichen von Schulden ermuntere doch so mache Familien erst recht, wieder Schulden zu machen, gab eine Ökonomin zu bedenken. Andere Kritiker regten stattdessen höhere Mindestlöhne oder Sozialhilfeleistungen an.

Doch Arnheims Beispiel macht Schule. Andere Städte folgen, wenngleich in kleinerem Umfang. Und in Rotterdam meldete sich in der Vorwoche die milliardenschwere Familie Van der Vorm zu Wort: Die Familienstiftung wolle innerhalb der nächsten drei Jahre rund 3.000 Familien in der niederländischen Hafenstadt von ihren Schulden befreien. Vorgesehen ist dafür eine Summe von insgesamt etwa acht Millionen Euro.

 „Wir können lang darüber herum streiten, ob und wie sehr die Familien selbst schuld sind an ihrer Schuldenlage, aber Tatsache ist, dass Kinder leiden“, heißt es in einer Erklärung der Familie. In den Genuss der Schuldentilgung kommen Familien mit mindestens einem Kind und die durch einen Notfall, etwa Tod eines Familienmitglieds oder plötzliche Arbeitslosigkeit, in Geldnot gerieten.

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Source:: Kurier.at – Politik

      

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