Im Lippenstift und im Kaffeebecher: Wie gefährlich sind Ewigkeitschemikalien – und was tut die EU?

Wirtschaft

Sie sind Allzweck-Mittel der Chemie. Jetzt will die EU sie verbieten, doch auf alle will die Industrie nicht verzichten. Ein zähes Ringen um Details

Sie sind im Trinkwasser zu finden, in Lebensmitteln wie Milch, oder Eiern und auch bei Kleinkindern schon im Blut. PFAS sind eine Gruppe chemischer Substanzen, die in der Natur eigentlich nicht vorkommt. Die chemische Industrie aber produziert seit Jahrzehnten Unmengen von diesen „Ewigkeitschemikalien“ – und in diesem Namen steckt auch das Problem: Einmal in der Natur freigesetzt sind diese Substanzen kaum abbaubar. Immer größere Mengen von ihnen belasten daher die Umwelt.

Und den Menschen? Zahlreiche wissenschaftliche Studien stellen einen Zusammenhang zwischen PFAS und erhöhtem Krebsrisiko her, das gilt auch für Fehlgeburten, Hormonstörungen, oder Herz-Kreislauferkrankungen. Und da wir diese quasi unzerstörbaren Substanzen nicht mehr loswerden, geht es auch um Langzeitwirkungen, die sich noch gar nicht abschätzen lassen.

Lippenstift bis Strohhalm

Die EU und ihre Gesundheitsbehörden versuchen seit Jahren, PFAS unter Kontrolle zu bekommen und so weit wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen. Doch das ist mühsame gesetzliche Detailarbeit – gegen eine Industrie, die sich eines ihrer bevorzugten chemischen Werkzeuge nur sehr zögerlich aus der Hand nehmen lässt.

Rund 10.000 Substanzen dieser Art sind im Einsatz – egal, wo man als Bürger und Konsument hinschaut. Bekannt sind etwa Teflon-Pfannen, oder regendichte Jacken. In Lippenstiften, Shampoos, oder Kaffeebechern kommen wir mit ihnen täglich in Berührung. Und weil die stabilen, wasserabweisenden und mit fast nichts reagierenden Substanzen so praktisch sind, werden sie auch auf Pizzakartons aufgetragen, oder sind Bauteil von Pflanzenschutzmitteln.

  Stadler-Rail-Chef: "Österreich ist Einflugschneise für chinesische Zughersteller"

Bisher hat die EU über ihre Chemikalienverordnung „Reach“ einzelne PFAS verboten, oder strenge Grenzwerte für die Verwendung eingezogen.

Eine raus – eine rein

Die Industrie aber reagierte rasch, baute PFAS-Moleküle um und setzt die Neuen, die jetzt legal waren, erneut ein. „Gesetzliche Regulierung auf diese Weise ist eine Sisyphus-Arbeit“, erklärt der Umweltchemiker Helmut Burtscher von der Umweltschutz-Organisation Global 2000: „Ich muss nicht einzelne Substanzen verbieten, sondern eine ganze Gruppe.“

Windräder, Impfungen

Den Schritt versucht die EU-Kommission zu setzen – seit zwei Jahren. Doch kaum lag der Vorschlag für ein umfassendes Verbot von PFAS auf dem Tisch, setzte sich die chemische Industrie in Bewegung – und brachte gewichtige Argumente in Stellung.

Viele der Substanzen sind auch in High-Tech-Produkten im Einsatz – und zwar in vielen Branchen: Ob bei der Entwicklung des mRNA-Impfstoffs gegen Corona, in Windrädern, Computerchips, oder Blutbeuteln in Krankenhäusern. So in Bausch und Bogen ließen sich PFAS einfach nicht verbieten, meint etwa der deutsche EU-Abgeordnete und Arzt Peter Liese: „In vielen Bereichen der Medizin sind PFAS unverzichtbar.“ Anders als bei Pizza-Kartons, oder Papier-Strohhalmen seien diese Verwendungen auch streng kontrolliert, die Substanzen würden nicht einfach in die Umwelt entlassen.

Sechs Monate hatte die EU-Kommission anfangs anberaumt, um alle Argumente für und gegen den PFAS-Einsatz einzuholen. Der Zeitraum ist längst verstrichen und die Debatte immer weiter ausgeufert.

Die PFAS-Befürworter setzen auf eine Ausnahmeregelung, die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen persönlich zugesagt hat. Umweltschützer dagegen sehen dahinter nur weitere Verzögerungstaktik. Für die meisten Anwendungen gebe es bereits Ersatz. Wann das alles in eine endgültige Regelung mündet, ist nicht absehbar. Aber es handelt …read more

Source:: Kurier.at – Wirtschaft

      

(Visited 3 times, 1 visits today)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.