Kaum 27 Jahre Ruhm waren der Seekuh vergönnt

Kultur

Iida Turpeinens Roman über die Geschichte des Artensterbens

Drei Leute. So viele würden sich für dieses Buch interessieren, hatte man ihr gesagt. Wer wolle schon einen Roman über Wissenschaftsgeschichte lesen, noch dazu einen mit einer Seekuh als Protagonistin?

Es sind dann ein bisschen mehr als drei geworden. Allein in Finnland wurden vom literarischen Debüt der 1987 geborenen Wissenschaftlerin Iida Turpeinen mehr als 50.000 Exemplare verkauft, und es werden mehr: „Das Wesen des Lebens“ wurde in 27 Sprachen übersetzt.

Über drei Jahrhunderte zieht sich Turpeinens Geschichte über die Stellersche Seekuh, dieses friedliche, mysteriöse Geschöpf, und die Lebenswege der Menschen, die von ihm angezogen waren. Allen voran der deutsche Naturforscher Georg Wilhelm Steller, der als erster und einziger Wissenschaftler jemals ein lebendes Exemplar besagter Seekuh gesehen haben soll. In den kalten Küsten des Nordpazifiks lebte sie, ausgestorben ist sie nur 27 Jahre, nachdem sie entdeckt wurde. Sie muss eine bemerkenswerte Kreatur gewesen sein, mit ihren brustähnlichen Zitzen, den langen Wimpern und der gegabelten Fischflosse. Kein Wunder, dass sich Seemänner an Meerjungfrauen erinnert fühlten. Auch in den Bestarien früher Tierforscher verschwammen das Reale und das Imaginierte miteinander. Was man nicht wusste, erfand man.

Weltweit gibt es nur wenige Skelette von diesem Tier. Eines davon gelangte ausgerechnet ins Naturhistorische Museum nach Helsinki , wo Iida Turpeinen darauf stieß. Der Beginn einer wissenschaftlichen Freundschaft, die die Autorin nun auch ins Wiener Naturhistorische Museum führte, das ebenfalls ein Skelett dieses riesigen Säugetiers beherbergt. Ebendort erzählte sie dem KURIER von der siebenjährgigen Arbeit an dem Buch, die wie „eine lange Reise“ war und sie in viele unbekannte Gegenden führte.

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400 Arten in 7 Jahren

Nicht zuletzt war es das Artensterben, das die Mutter zweier Kinder für die Seekuh entflammte. „Wir bemerken es nicht, doch es passiert ständig. Ich hatte die naive Idee, ich könnte am Ende des Buches allen Arten danken, die während meiner Arbeit daran ausgestorben sind. Es sind leider zu viele: 400. Ich kannte nur drei davon, obwohl das mein Fachgebiet ist. Den meisten Menschen ist dieses Aussterben also nicht einmal aufgefallen. Literatur ist eine Möglichkeit, darauf hinzuweisen, durch Literatur lässt sich eine emotionale Bindung schaffen.“

Deshalb ist für Turpeinen die Frage, ob dies nun Belletristik oder ein Sachbuch ist, klar zu beantworten: „Es ist ein Roman darüber, wie das Artensterben möglich wurde.“ Er erzählt die Geschichte der menschengemachten Ausrottung von Arten – ob aus Gier oder aus Ahnungslosigkeit. „Die Menschen hatten damals keine Idee davon, dass die Natur vulnerabel ist. Doch es war ehrlich gesagt auch ganz erfrischend, bei der Recherche all diese historischen Texte mit ihrer unbekümmerten Herangehensweise zu lesen.“

Das meiste, das in Turpeinens Roman steht, ist wahr. Auch die Geschichten, die am unglaublichsten klingen. Unter anderem jene, in der ein Wissenschaftler in Helsinki auf den klingenden Knochen der Seekuh das Poco Allegretto aus Brahms 3. Symphonie spielt.

Cover

Iida Turpeinen:
„Das Wesen 
des Lebens“ 
Ü.: Maximilan Murmann.
S. Fischer.  
320 Seiten.
25,50 Euro

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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