Frankreichs Kulturszene geißelt sich selbst: „Die Menschen haben uns satt!“

Kultur

Regisseurin Ariane Mnouchkine über den Erfolg der Rechten

 Die Schöngeister aus der Literatur-, Theater- und Kinowelt. Sie haben „das Volk im Stich gelassen“. Das sagt keine Geringere als Ariane Mnouchkine, in Frankreichs Kunstwelt so etwas wie eine „moralische Autorität“. Die preisgekrönte Regisseurin leitet seit 1964 das „Théâtre du Soleil“, mit dem sie auch oft in Wien zu Gast war.

Jetzt hat sie in einem Kommentar in der Tageszeitung Libération die Mitverantwortung der Künstler am Aufstieg der extremen Rechten thematisiert. Ihren Befund teilt auch Éric Ruf, Direktor des Nationaltheaters Comédie-Française in der Tageszeitung Le Monde. „Was haben wir gemacht? Was haben wir nicht gemacht? Was hätten wir tun sollen?“ Man habe geglaubt, noch drei Jahre darüber nachdenken zu können, doch die plötzliche Entscheidung Emmanuel Macrons, Wahlen auszurufen, habe alles auf den Kopf gestellt. Beim ersten Wahlgang der vorgezogenen Parlamentswahlen stimmten mehr als zehn Millionen Wähler für die rechtsextreme Partei Rassemblement national (RN) von Marine Le Pen.

Die Kulturwelt habe immer davor gewarnt, sagt Mnouchkine. Nun stehe der RN vor den Toren der Macht. Die Künstlerinnen und Künstler Frankreichs würden sich bald in einem moralischen Dilemma befinden: „Was werden wir denn tun, wenn wir einen RN-Kulturminister vor uns haben? Ich rede nicht von einer wahrscheinlichen inhaltlichen Inkompetenz. Ich rede davon, dass wir alle zu Kollaborateuren werden.“ Und sie setzt hinzu: „Wann werden wir unser Theater schließen? Oder werden wir uns weiterhin gegenseitig erzählen, dass wir nach innen Widerstand leisten?“ Sie wolle, sagt die Regisseurin, „nicht so jemand werden wie in dem Stück, das wir 1979 gespielt haben. ,Mephisto’ von Klaus Mann.“

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„Im Stich gelassen“

Die ersten, die Schuld am Erfolg der extremen Rechten hätten, seien just die Kulturschaffenden, prangert Mnouchkine an. „Wir haben das Volk im Stich gelassen. Wir wollten die Ängste der Menschen, ihre Sorgen und Zweifel nicht hören.“ Man habe nicht sehen wollen, was offensichtlich war. „Als die Menschen sagten, was sie sehen, sagten wir ihnen, sie würden sich täuschen.“

Es sei nun schlicht zu spät, wenn die Kulturschaffenden gegen den RN mobilisieren. Und wohl auch gar nicht sinnvoll. „Ich glaube nicht, dass eine kollektive Mahnung aus der Kulturwelt klug wäre. Weil die Bürger nämlich die Kulturwelt „satt hätten“ mit ihrer „Unfähigkeit“, ihrem „Narzissmus“ und ihrem „Leugnen“.

Ähnlich Éric Ruf: „Ich frage mich seit Langem: Was mache ich, wenn der RN gewinnt?“ Die Kultur habe kein Gewicht mehr in der politischen Debatte. Ein großer Zweifel habe sich ausgebreitet, was Sinn und Zweck von Kultur per se, insbesondere des Theaters, sei. Die Menschen würden sich bald fragen: „Wozu brauchen wir eigentlich die Comédie-Française mit ihren vierhundert Angestellten?“ 

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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