
Kissinger hat Friedensschlüsse eingefädelt und US-Interessen knallhart durchgesetzt. Dafür wurde er bewundert wie gehasst.
Wenn die Spielvereinigung Greuther Fürth so wie am vergangenen Samstag dem HSV unterliegt und in der zweiten deutschen Fußball-Liga auf Platz 12 herumkrebst, dann erfährt er das zeitnah aus dem Internet. Früher, in den Vor-www-Zeiten, musste die deutsche Botschaft in Washington Henry Kissinger die Spielergebnisse „seiner“ Fürther kabeln. Und „je nach Stand unserer Beziehungen bekam ich sie entweder am Wochenende oder erst am Dienstag“, erzählte er einmal.
Das ist die im deutschsprachigen Raum wohl bekannteste Anekdote über Henry Kissinger, den legendären amerikanischen Außenminister, der am Samstag seinen 100. Geburtstag begeht. Und es ist eine aussagekräftige: Der in Deutschland geborene Jude, der mit seiner Familie 1938 emigrieren musste und in den USA eine fulminante Karriere als Politikwissenschafter und Politiker machte, der mit Weltgrößen von Mao Zedong bis Charles de Gaulle und Anwar el Sadat verkehrte, der wie kein Zweiter heute noch für die US-Außenpolitik steht, für knallharte Interessen ebenso wie für Entspannung und Friedensschlüsse, der dafür bewundert und gehasst wird, je nachdem: Diese Ausnahmeerscheinung auf der Weltbühne hat ihre deutschen Wurzeln nie vergessen. Die Fürther Kleeblätter – Kissinger kickte in seiner Jugend selbst leidenschaftlich mittelmäßig – auch nicht.
„Vorsicht und Furcht“ prägten seine Zuneigung zu Deutschland, schrieb sein Biograf David Landau einmal, „und doch überwog ein Gefühl der Wärme“. Kissinger selbst betont stets, dass die zwiespältigen Erfahrungen seiner Kindheit in der Fürther Heimat null Einfluss auf sein politisches Denken gehabt hätten – außer vielleicht, dass das Scheitern der Appeasement-Politik der Alliierten gegenüber Hitler dem späteren Außenpolitiker Kissinger Appeasement als unsinnig einprägte.
Anfeindungen als Jude
Heinz Alfred Kissinger, Sohn eines jüdischen Studienrates im bayrischen Mittelfranken, war mit seinem Bruder Walter jedenfalls den antisemitischen Anfeindungen der 1930er-Jahre ausgesetzt. Die Familie orientierte sich, wenn sie reiste, eher nach Wien als nach Berlin – und verließ Deutschland 1938 via London in die USA.
Dort fiel die analytische Begabung des jungen Deutschen drei Mentoren auf: dem Gefreiten und deutschen Emigranten Fritz Kraemer in der 84. Infanterie-Division, in der Kissinger diente; dem Harvard-Professor William Yandell Elliott, der den strebsamen Deutsch-Amerikaner förderte; und dem Multimillionär Nelson Rockefeller, der sich den brillanten Harvard-Absolventen als Berater holte.
Metternich-Dissertation
Kissinger dissertierte u. a. über Metternich, was später oft zur Klassifizierung verwendet wurde: Folgte er als Politiker der Schule Metternichs, gar Machiavellis, war er Realpolitiker oder Idealist? Kissinger war’s gleich, er schrieb und schrieb, unter anderem eine Neueinschätzung der amerikanischen Vergeltungsmöglichkeiten im Falle eines sowjetischen Atomangriffs – flexibel statt massiv, war seine These.
Der Mann fiel auf – und diente bald John F. Kennedy ebenso als Berater wie Lyndon B. Johnson und Richard Nixon. Letzterer machte ihn 1968 zum Sicherheitsberater, als der er, noch ehe er 1973 Außenminister wurde, weltpolitische Spuren hinterließ.
Mit zwei geheimen Reisen in die Volksrepublik China bereitete er 1971 das historische Treffen Präsident Nixons mit Mao Zedong in Peking vor – die Normalisierung der Beziehungen USA/China vor 50 Jahren war eine Sensation.
Abrüstung und Vietnam
Kissinger reiste im selben Jahr in die Sowjetunion, den Gott-sei-bei-uns der Amerikaner und der westlichen Welt in den 1960er/70er- und 80er-Jahren, …read more
Source:: Kurier.at – Politik