
„Die perfekte Welt gibt es nicht“, sagt Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG). Aber leider sei man heute „noch weiter davon entfernt als noch vor zwei Jahren“.
Am Mittwoch präsentierte Deutsch gemeinsam mit IKG-Generalsekretär Benjamin Nägele den Jahresbericht 2024 der Antisemitismus-Meldestelle der IKG.
Und das Vorjahr brachte „einen neuen, traurigen Negativ-Rekord“, wie Deutsch festhielt. „Mehr als vier bestätigte Vorfälle wurden jeden Tag gemeldet. Ich will gar nicht wissen, wie viele nicht gemeldet wurden.“
Jüdische Schüler, die mit Schimpfwörtern wie „Saujud“ oder Parolen wie „Free Palestine!“ zu Boden geworfen werden; ältere jüdische Menschen, die am Schabbat zur Synagoge gehen – und angegriffen werden; oder offensichtlich jüdische Österreicher, denen der Schtreimel (Kopfbedeckung, Anm.) vom Kopf geschlagen wird: Insgesamt 1.250 Vorfälle hat die Meldestelle im Vorjahr dokumentiert; das sind um fast ein Drittel (32,5 %) mehr als noch 2023, das bereits im Eindruck des Terrors vom 7. Oktober stand.
Der Großteil der Vorfälle (626) wird unter „verletzendem Verhalten“ subsumiert. Die Zahl der physischen Angriffe und Bedrohungen beträgt 24 bzw. 38. Insgesamt wurden 216 Sachbeschädigungen im vergangenen Jahr gemeldet.
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Benjamin Nägele, der die Meldestelle leitet, sind drei Dinge wichtig. Zum einen handelt es sich bei den 1.520 Fällen um dokumentierte und gemeldete Fälle. „Diese sind verifiziert.“ Das bedeutet beispielsweise bei Schmier-Aktionen oder Sachbeschädigungen, dass es Fotos und dergleichen gibt. Zweitens: Bei Hass-Kommentaren, die etwa unter Interviews von IKG-Chef Deutsch gepostet wurden, handelt es sich statistisch nur um einen Vorfall – selbst wenn die Zahl der Kommentare ein Vielfaches beträgt.
Und drittens: Politische Kritik am Staat Israel wird explizit nicht in der Statistik erfasst, weil es sich dabei nicht um Antisemitismus handelt. „20 bis 30 Prozent der Meldungen“, schätzt Nägele, werden von der Meldestelle ausgesiebt, weil sie nicht als antisemitisch quali- bzw. verifiziert werden konnten.
Insgesamt glaubt die IKG, dass die Dunkelziffer der Übergriffe noch weitaus höher ist. „Es hat sich eine gewisse Resignation (zur Meldung, Anm.) breit gemacht“, sagt Nägele. Auf Nachfrage erklärt er, dass die Gewaltbereitschaft tendenziell zunehme und auch die Täter tendenziell jünger würden.
Abgesehen von den enormen Kosten, die etwa die Sicherungsmaßnahmen bei jüdischen Einrichtungen verursachen, macht sich ein wenig Angst breit.
Laut einer Untersuchung des „Jewish Joint Distribution Committee“ von 2024 fühlen sich acht von zehn jüdischen Bürgern in ihren Städten weniger sicher als vor dem Angriff der Hamas. Fast die Hälfte der Befragten unter 40 geben an, dass sie sich von ihren nicht-jüdischen Freunden entfremdet haben.
Deutsch und die IKG wollen sich dieser, auch in Wien und Österreich spürbaren Tendenz, nicht beugen.
„Wir lassen uns nicht kleinkriegen. Es ist unser Job, jüdisches Leben weiterhin sichtbar zu machen – etwa mit Straßenfesten und dergleichen. Wir sind Österreicher, wir leben gerne hier.“ Ja, es sei herausfordernder geworden. „Aber wir lassen uns nicht einschüchtern!“
Source:: Kurier.at – Politik